Im Rahmen der Museumsnacht Köln war ich nach längerer Zeit mal wieder in meinem „Heimathafen“ Mülheim unterwegs. Ganz im Süden von Kölns größtem und bevölkerungsreichstem Stadtteil zeigt speziell in den Abendstunden der raue Industriecharme. Im ehemaligen Viertel der Klöckner-Humboldt-Deutz AG taucht man in weit mehr als 150 Jahre Industriegeschichte ein. Und diese ist bis heute mit der Stadtentwicklung in Köln-Mülheim eng verknüpft.

Gentrifizierung im Mülheimer Süden
Wie es in den allermeisten industriell geprägten Stadtteilen der Fall ist, lässt sich auch im Mülheimer Süden nahezu beispielhaft das Thema Gentrifizierung nachvollziehen und miterleben.
2002 wurde der Industriestandort entlang der Deutz-Mülheimer-Straße endgültig aufgegeben. Schon seit Mitte der 1990er Jahre entdeckte die Künstlerszene die alten Gebäude für sich. Ein bekanntes Beispiel ist das Gebäude 9, das seit 1996 Veranstaltungsort für Konzerte, Film- und Theateraufführungen aus dem Indepedentbereich ist.
Doch der Mülheimer Süden steckt mitten im Wandel. Seit mindestens 20 Jahren höre ich immer wieder: „Mülheim ist das neue Ehrenfeld.“ Das mag für einige wenige Straßenzüge in Altmülheim gelten, aber ansonsten geht die Gentrifizierung langsamer voran als prognostiziert.
Der Mülheimer Süden ist daher ein gleichzeitig aus städtebaulicher Sicht sehr spannendes, aber gleichzeitig auch polarisierendes Projekt, bei dem viele Interessen aufeinander treffen. Aus den rund 46 Hektar Industriebrache soll ein völlig neues Viertel zum Wohnen und Arbeiten entstehen. Teile der alten Werkshallen und Verwaltungsgebäude sollen erhalten bleiben und integriert werden. Dazu gab es bereits 2013/14 ein sog. Werkstattverfahren, bei dem Experten aus der Planung und die Öffentlichkeit gemeinsam Pläne für die Bebauung und Nutzung entwickelten.
Gentrifizierung beschreibt einen Verdrängungsprozess von zumeist einkommensschwachen durch wohlhabendere Haushalte. In der ersten Phase („Pionierphase“) entdecken häufig Künstler*innen alte Industriegebäude für sich und nutzen sie als Ateliers. Der Anteil der Pioniere wächst und mit ihnen das lokale Angebot in Form von Geschäften und Dienstleistungen. Erste Modernisierungen erfolgen. Das zieht immer mehr sog. Gentrifier an (oft leitenden oder mittlere Angestellte mit höheren Flächenanspruch). Dadurch steigen die Preise und die alteingesessene Bevölkerung sowie die Pioniere werden verdrängt. Der Stadtteil wird immer hipper, die Mieten steigen (auch durch Luxussanierungen) immer höher, so dass schließlich ein kompletter Wandel des Stadtteils vollzieht - vom heruntergekommenen Industriestadtteil der einkommensschwachen Arbeiter hinzu einem Luxusviertel für sehr gut Verdienende. Dieser Prozess dauert unterschiedlich lange. Er kann aber auch gesteuert werden, z. B. in dem innerstädtische (Industrie)Areale an Investoren verkauft und von diesen bebaut werden.

Doch wenn man wie ich in der Museumsnacht in diesem Areal unterwegs ist, bekommt man schnell das Gefühl, dass hier nichts passiert. Klar, einige alte Industriegebäude wurden bereits abgerissen, andere sind dem Verfall und/oder Vandalismus überlassen. Bautätigkeit ist nur punktuell zu sehen.
Stadtentwicklung aus künstlerischer Sicht

Die Künstlergemeinschaft Raum 13 diskutierte im Rahmen der Museumsnacht mit uns und anderen Besuchern kontrovers zu dem Thema Stadtentwicklung, und welche Anstrengungen mit dem Erhalt der bisher genutzten Räumlichkeiten auf dem ehemaligen KHD-Gelände einhergehen.
Ich habe Raum 13 und das Zentralwerk der Schönen Künste während der Mülheimer Nacht im April 2016 kennengelernt und war beeindruckt, wie die Künstler*innen die Räumlichkeiten nutzten und gleichzeitig das Historische bewahrten. Das Interieur der ehemaligen KHD-Verwaltung konnte entdeckt werden – eine Zeitreise in die 1960er und 70er Jahre. Aus welchen Gründen auch immer habe ich damals keine Fotos davon gemacht, sondern nur dieses eine vom Innenhof. Mittlerweile lagert die gesamte Inneneinrichtung an verschiedenen Standorten. Die Immobilie wurde 2022 von der Stadt Köln gekauft. Noch ist offen, ob und wie die Künstlergemeinschaft in die Räumlichkeiten zurück kann.
Raum13 hatte seit über zehn Jahren aus der ersten Gasmotorenfabrik auf über 10.000 qm das Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste geschaffen — ein großangelegtes Stadtkunstprojekt,
https://www.museumsnacht-koeln.de/event-location/raum13-deutzer-zentralwerk-der-schoenen-kuenste
das sich immer auch als Plattform für zeitgenösische Stadtentwicklung verstanden hat. Die Stadt Köln erwarb 2022 die Immobilie. Raum13 arbeitet mit zahlreichen Unterstützer:innen an der Wiedereröffnung des Deutzer Zentralwerks der Schönen Künste und damit an der Umsetzung der Ratsbeschlüsse zur zukünftigen Entwicklung des Otto-Langen-Quartiers, bei dem raum13 der Ankerpunkt sein soll.
Mülheimer Spirit
Der Abstecher in den Mülheimer Süden gewährte mir und meinen Freund*innen einen Einblick in eine lebendige, pulsierende und vielfältige Kunstszene und die die alten Industriehallen mit Leben füllt. Vor allem der Besuch im KunstWerk Köln e.V., der direkt vis a vis zum Gebäude 9 sitzt, hinterließ bei mir einen bleibenden Eindruck des besonderen Mikrokosmos auf Musik, Fotografie und anderen Kunstbereichen und natürlich ein starkes Heimatgefühl. Gerade deshalb bin ich nun noch interessierter, wie es im Kölner Süden städtebaulich weitergeht und ob es der Stadt Köln tatsächlich gelingt, alle Interessen unter einen Hut zu bringen und den alten Charme des Viertels sowie die Kunstszene hier zu (er)halten. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Ich hätte mich hier und in der Umgebung verlieren können. Aber wir waren schließlich zu Fünft unterwegs und alle wollten auf ihre Kosten kommen.
Und ganz nebenbei sind ein paar Fotos entstanden:
Weiterführende Links zum Thema:
- Rheinische Industriekultur zu Gasmotorenfabrik Köln-Deutz: www.rheinische-industriekultur.com/seiten/objekte/orte/koeln/objekte/Gasmotorenfabrik.html
- Raum13 / Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste: www.raum13.com
- KunstWerk Köln e.V.: www.kunstwerk-koeln.de
- Stadtentwicklung Mülheimer Süden (Stadt Köln): www.stadt-koeln.de/artikel/60997/index.html