19. Dezember: Seltsam, im Nebel zu wandern!
19. Dezember: Seltsam, im Nebel zu wandern!

19. Dezember: Seltsam, im Nebel zu wandern!

Schaukel im Nebel
Schaukel im Nebel

„Eigentlich erwartet man jeden Moment, dass der kopflose Reiter durchs Bild galoppiert.“ Schrieb mir eine Freundin, als ich dieses Bild in meinem WhatsApp-Status veröffentlicht hatte. Und tatsächlich hatte ich eine ähnliche Erwartungshaltung, als ich an diesem frühen Oktobermorgen durch den dichten Nebel in Richtung Wolfsschlucht wanderte.

Für fast anderthalb Stunden hatte ich den Wald und faszinierenden Gesteinsformationen des Müllerthals ganz für mich alleine, konnte eintauchen in diese mystische Welt, in der alles ein wenig bizarr und gespenstisch ausschaut. Nebel strahlt dazu noch eine ganz besondere Ruhe aus. Auch die Fotografie erfährt diese Ruhe: Stativ aufstellen, Kamera ausrichten, Motiv fokussieren und abwarten.

Insgesamt ist eine Wanderung im Nebel für mich eine wundervolle Entschleunigung im sonst so hektischen Alltag, und keine depressive Einsamkeit wie bei Hesse. Trotzdem ist sein Gedicht „Im Nebel“ sehr passend zum heutigen Bild.

Im Nebel 

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

(Hermann Hesse, 1905)